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Studierende widmen sich geteilter und vereinter Christentumsgeschichte in Ost- und Westdeutschland 1949–1999
Summer School der kirchenhistorischen Professuren in Osnabrück und Erfurt war ein voller Erfolg – Großes Lob für Veranstalter seitens der Teilnehmenden
13. Juni 2025, Martin Belz

Die Teilnehmenden der Summer School 2025 (c) Universität Osnabrück | Ringo Müller, Erfurt
Wie gestalteten sich christliche Lebenswelten in Ost- und Westdeutschland nach 1949? Auf welche Weise rezipierten Christinnen und Christen die kirchlichen Reformen und die gesellschaftlichen Transformationsprozesse von den 1950ern bis zur Jahrtausendwende in beiden deutschen Staaten? Welche Veränderungen, Neuaufbrüche und Kontinuitäten zeichneten sich in dieser Zeit auf den Ebenen der Pfarreien und Diözesen, der Kirchen- und Bistumsleitungen sowie der Ordensgemeinschaften ab? Wie setzten sich Gläubige mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen auseinander? Und welchen Anteil hatten sie an der friedlichen Revolution 1989/1990?
Diesen und weiteren Fragen rund um das Thema „Christentum im geteilten und vereinten Deutschland 1949–1999“ widmete sich eine interuniversitäre Summer School, die vom 28. Mai bis 1. Juni 2025 in Kooperation durch die Professur für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Erfurt und die Juniorprofessur für Kirchen- und Christentumsgeschichte an der Universität Osnabrück ausgerichtet wurde. Als Tagungsstätte diente das Benediktinerkloster Huysburg bei Halberstadt im Harz, das mit seiner Lage in der Nähe der ehemaligen innerdeutschen Grenze und mit seinem angeschlossenen Tagungshaus den idealen inhaltlichen und organisatorischen Rahmen für die Summer School bot. Gefördert wurde die fünftägige Veranstaltung durch namhafte Zuschüsse der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, des Freundeskreises der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, der Studienkommission des Fachbereichs 3 und des Instituts für Katholische Theologie der Universität Osnabrück sowie der beiden ausrichtenden Professuren.
20 Studierende von drei Universitäten und unterschiedlicher Fachrichtungen
Rund 20 Studierende aus Erfurt und Osnabrück sowie aus Tübingen nahmen an der Summer School teil. Dabei waren unterschiedliche Fach- und Studienrichtungen vertreten, vor allem die Fächer Katholische Theologie, Evangelische Theologie und Geschichte. Damit gelang der universitäts- und fächerübergreifende Austausch, den sich die Organisatoren der Summer School zum Ziel gesetzt hatten, in besonderem Maße. Den interessierten und äußerst engagierten Teilnehmenden bot die Veranstaltung ein vielfältiges Programm, das unterschiedliche Perspektiven auf christliche Lebenswelten in Ost- und Westdeutschland nach 1949 und auf die gemeinsame Geschichte seit der friedlichen Revolution 1989/1990 eröffnete. Die in regional vergleichender Perspektive angelegten einzelnen Studieneinheiten zielten auf eine aktive Auseinandersetzung mit und eine kritische Reflexion von vielfältigen historischen Quellen der kirchlichen Zeitgeschichte durch die Studierenden. Im Zuge dessen wurden die Teilnehmenden dazu befähigt, aus der Veranstaltung heraus nach möglichen Themen für eigene Qualifikationsarbeiten, etwa Bachelor- oder Masterarbeiten, zu recherchieren.
Intensives Programm mit unterschiedlichen Lehr-Lern-Formaten in fünf Tagen
Nach einer Auftakteinheit am Mittwochabend, die dem Kennenlernen in der Gruppe und der thematischen Einführung diente, beschäftigten sich die Studierenden am Donnerstag in drei Plenumseinheiten mit einigen exemplarischen Themenfeldern der zeithistorischen Christentumsgeschichte. Hierbei standen die Handlungsspielräume der Bischofskonferenzen in Ost und West vor dem Hintergrund unterschiedlicher politischer Systeme in den 1950er-Jahren (Referent: Johannes Schillert M. A., Erfurt), die regionale Rezeption innerkirchlicher Wandlungsprozesse in der katholischen Kirche durch die Synoden in Ost und West in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er- und 1970er-Jahren (Referent: Prof. Dr. Martin Belz, Osnabrück) sowie potenzielle Konfliktfelder für Christinnen und Christen im Bildungssystem der DDR in den 1970er-Jahren (Referent: Dr. Ringo Müller, Erfurt) auf dem Programm. In der Mittagspause führte der Rektor des Klosterkonvents, Bruder Jakobus, die interessierte Gruppe durch Kirche und Kloster und bot so einen besonderen Einblick in die Geschichte des Klosters Huysburg und das Leben als Mönch in der Gegenwart vor dem Hintergrund einer weitgehend säkularisierten Umgebung. Am Abend boten eine Lesung und ein Gespräch mit dem Theologen, Autor und Zeitzeugen Prof. Dr. Thomas Brose (Berlin), das Prof. Dr. Jörg Seiler (Universität Erfurt) moderierte, weitere vertiefte Einblicke in die persönlichen Erlebnisse eines engagierten Christen in der DDR zur Wendezeit.
Nach dem anspruchsvollen Auftakt stand am Freitag eine Exkursion ins benachbarte Halberstadt auf dem Programm. Dort besichtigten die Teilnehmenden am Vormittag zunächst den Dom und den Domschatz mit seiner sehenswerten Reliquiensammlung. Am Nachmittag konnten sie bei einer Stadtführung die Geschichte Halberstadts näher kennenlernen, wobei insbesondere die Zeit der friedlichen Revolution 1989/1990 im Blickpunkt der eineinhalbstündigen Führung stand. Am Abend folgte die Vorführung einer Filmdokumentation über Papst Johannes XXIII. (Papst 1958–1963), das von ihm einberufene Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) sowie seine Friedenspolitik im Zeitalter des Ost-West-Konflikts und der Kuba-Krise 1962. Im anschließenden Gespräch konnten die Studierenden ihre Eindrücke der Dokumentation schildern und ihre Kenntnisse der kirchlichen und der profanen Zeitgeschichte vertiefen.
Mit weiteren exemplarischen Themenfeldern der Christentumsgeschichte zwischen 1949 und 1999 setzten sich die Studierenden in mehreren parallelen Workshops am Samstag vertieft auseinander. Im ersten Workshop zum Thema „Geschlechter und Sexualitäten: Zwischen Gesellschaft und Religion“ arbeitete die Referentin Katharina Zimmermann M. A. (Tübingen) mit den Studierenden zu Geschlechter- und Körperbildern sowie sexualpädagogischen Konzepten in der DDR, die häufig im Spannungsfeld zu Geschlechter- und Moralvorstellungen der katholischen Kirche standen. Im zweiten Workshop zum Thema „Zwischen Klostermauern: Orden als prekäre Sonderwelten“ analysierten die Studierenden unter der Leitung von Josef C. Schmitt M. A. (Potsdam) Berichte über Orden und Klöster in der DDR, die zum Teil vom Ministerium für Staatsicherheit überwacht wurden. Hier erhielten die Teilnehmenden spannende Einblicke in das Selbst- und das Fremdverständnis religiöser Orden. Im dritten Workshop widmete sich Dr. David Rüschenschmidt (Hamburg) dem Thema „Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche“. Auf Basis mehrerer exemplarischer Fälle aus dem Bistum Münster, an dessen 2022 publizierter Missbrauchsstudie der Referent mitgearbeitet hat, führte Rüschenschmidt die Studierenden in die Thematik ein und analysierte mit ihnen Täterprofile, Tatkontexte, Reaktionen der Kirchenleitungen und strafrechtliche Folgen. Am Abend rundete ein Gespräch mit Bruder Petrus von der Benediktinergemeinschaft der Huysburg das inhaltsreiche Tagesprogramm ab. Der Benediktiner berichtete eindrucksvoll und mit Bezug auf viele persönliche Erlebnisse über das Leben im Konvent in sozialistischer Zeit, in den Phasen des politischen Umbruchs und der Transformation sowie in der Epoche des vereinten Deutschlands.
Positives Feedback seitens der Studierenden und Wunsch nach Fortsetzung
Nach vier dicht gefüllten Tagen standen in der Abschlusseinheit am Sonntag der Blick auf Christentum und Gesellschaft im vereinten Deutschland ab 1990 und das Resümee der Veranstaltung an. Das Feedback der Studierenden in der Abschlussrunde fiel äußerst positiv aus: Sie zeigten sich begeistert von dem besonderen Lehr-Lern-Konzept der Summer School und dem einzigartigen Tagungsort des Benediktinerklosters, das außerhalb des Seminarprogramms auch genügend Raum für Freizeit und Erholung bot. Zudem lobten die Teilnehmenden insbesondere die jeweils spannend und quellennah gestalteten Workshops der Referierenden und die intensiven Diskussionen sowie die angenehme Gruppenatmosphäre im interuniversitären Austausch und die wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe durch die Dozierenden. Mit diesen positiven Eindrücken und dem Wunsch nach einer erneuten Summer School auf der Huysburg kehrten die Teilnehmenden und die Dozierenden am Sonntagnachmittag nach Erfurt, Osnabrück und Tübingen zurück. Die Organisatoren nahmen den geäußerten Wunsch nach einer Fortsetzung des innovativen Veranstaltungsformates gerne auf – erste Ideen gibt es bereits.